November 08, 2010

experiment III

Diese Geschichte beginnt mit einer Hochzeit. Sie wurde in einer Stadt im Süden gefeiert, an einem heißen Sommertag, an dem die Luft am frühen Morgen schon schwer war vom Duft der Rosen, stark und voluminös wie von einem orientalischen Parfum; und die auftauchenden Wolkenfetzen am Himmel verrieten, dass spätestens am Abend ein Gewitter zu erwarten wäre.
Es war eine erstaunliche Eheschließung. Und sie erregte die Gemüter vieler. Nur die beiden Hauptbeteiligten schienen von all dem aufgeregten Treiben um sie herum gänzlich unberührt zu bleiben. Was nicht bedeutet, dass sie nur mit sich selbst zu tun gehabt hätten, nur noch Augen und Ohren füreinander, wie man es in romantischer Verklärung aus späterer Zeit erzählt. Damals wurden Ehen noch arrangiert und man hatte es nicht für nötig befunden, hatte sogar alle Sorgfalt darauf verwandt, sie bis zu ihrer Vereinigung vor dem Priester einander und den Gästen nicht vorzustellen. Und gerade aus diesem Grunde erregte ihre Bereitwilligkeit sich mit den Gegebenheiten abzufinden - oder sollte man es gar für Teilnahmslosigkeit halten? - Verwunderung.
Vom Bräutigam durfte man es freilich nicht anders erwarten. Schon seit man ihn kannte, und das waren mittlerweile eine ganze Reihe von Jahren, nachdem er ursprünglich wie aus dem Nichts aufgetaucht war, hatte sein Verhalten stets Anlaß zu der Vermutung gegeben, er sei des Empfindens überhaupt nicht fähig. Weder in Aktionen noch in Reaktionen konnte man ihn allgemeine Erwartungen der Gesellschaft erfüllen sehen; statt dessen oftmals in einer Art und Weise agieren, als sei er außerstande, einzelne Erfordernisse zu erkennen, anzuerkennen und nachzuvollziehen. Hier einmal erschien er fügsam. Die junge und, wie man als Selbstverständlichkeit unterstellte, schöne Braut, obgleich sie vielen gänzlich und einigen noch sehr fremd war, konnte und wollte man nicht in dieses Urteil mit einschließen. Die Unbekümmertheit, die man an ihr beobachtete, mochte man als Naivität oder Durchtriebenheit auslegen. Kurios erschien sie allemal.
Es kursierten die unterschiedlichsten Gerüchte, warum man ausgerechnet sie für diese Ehe erwählt hatte. Und die, die diese Wahl getroffen hatte, hielt sich wohlweislich bedeckt. Soviel wußte man aber: Von ihm konnte das Motiv hierzu nicht ausgehen, denn ...

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